„Vielleicht sind es doch die Hinkelsteine von Obelix?“ Der höfliche Archäologe, der uns zu den geheimnisvollen Steinreihen von Carnac führt, kann über diesen Witz nur milde lächeln. Er hört ihn wohl nicht zum ersten Mal.
Golf von Morbihan (c) travel by tropf
Rund 3000 Steine sind es, zwischen einem halben und vier Meter hoch, die an der Südküste der Bretagne über gut vier Kilometer hinweg aufgestellt wurden. Fein säuberlich in Reih und Glied, wie Soldaten einer versteinerten Armee – und niemand weiß, wer das vollbracht hat und zu welchem Zweck.
Auch der Archäologe will sich nicht festlegen, spricht nur von der „wahrscheinlichsten Theorie“: Ein unbekanntes Volk aus der Steinzeit dürfte die Steine (bretonisch: „Menhire“) vor 4000 oder 5000 Jahren als Prozessionsreihen platziert haben, die zu besonderen Kultplätzen führten. Also keine Außerirdischen und auch kein Obelix – obwohl ein Zaubertrank beim Transport der schweren Felsen gewiss hilfreich gewesen wäre. Der größte Menhir liegt in drei Teile zerbrochen in der Ortschaft Locmariaquer. In einem Stück war er 20 Meter hoch und wog 350 Tonnen…
Das Ende und der Anfang der Welt
Die Bretagne ist nicht viel größer als Niederösterreich, besitzt aber eine 2700 Kilometer lange Küstenlinie mit mehr als 800 Inseln und einer erstaunlichen Vielfalt an Landschaften voller Kontraste, die von steilen, zerklüfteten Felsklippen bis zu ausgedehnten, goldgelben Sandstränden reichen.
Wer es rau und wild liebt, ist an der stürmischen Westspitze der Halbinsel richtig, die weit in den Atlantik hinausreicht. Die Franzosen nennen die Gegend „Finistère“ (Ende der Welt), die Bretonen aber „Penn ar Bed“ (Anfang der Welt). Wie unglaublich schön dieses Land am Meer ist, sieht man auf den großformatigen Bildern von Philip Plisson, die in seinem modernen Atelier im Hafenstädtchen Trinité-sur-Mer ausgestellt sind. Plisson gilt als einer der besten Fotografen der Welt, hat mehrere Bildbände über die Bretagne veröffentlicht und verkauft pro Jahr eine halbe Million Poster, die wie Kunstwerke gehandelt werden (www.plisson.com).
Im Süden der Bretagne ist das Klima deutlich milder, das Meer ruhiger, die Küste sanfter und grüner. Besonders bezaubernd präsentiert sich der Golf von Morbihan: Mehr als 40 Inseln sind über das 35 Kilometer lange und 25 Kilometer breite Binnenmeer verstreut, das nur eine ganz schmale Verbindung mit dem Atlantik besitzt und vor allem bei Seglern beliebt ist.
Ein Bootsausflug durch dieses Idyll ist ebenso empfehlenswert wie ein Besuch in Vannes: Die 2000 Jahre alte Stadt – einst Sitz der bretonischen Herzöge – ist durch einen Fluss mit dem Golf verbunden und hat neben einem mondänen Yachthafen eine malerische, von mächtigen Mauern beschützte Altstadt zu bieten.
Die Stadt der Korsaren und das Schauspiel der Gezeiten
An der Nordküste markiert das weltberühmte Kloster von Mont Saint-Michel die Grenze zwischen Bretagne und Normandie. Nicht weit entfernt liegt Saint-Malo, das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert als „Stadt der Korsaren“ zu Ruhm und Reichtum gelangte. Im Prinzip arbeiteten die Korsaren wie Piraten. So lange sie nur ausländische Schiffe angriffen und plünderten, taten sie dies aber mit der offiziellen Erlaubnis des französischen Königs. Ein einträgliches Geschäft, wie die gewaltigen Festungsanlagen und die stattlichen Paläste beweisen.
Faszinierender als die Hafenstadt selbst ist allerdings das Schauspiel der Gezeiten rundherum. Wenn das Meer bei Ebbe fast bis an den Horizont verschwindet und die Fischerboote im Hafen gestrandet zurücklässt, werden plötzlich lange Sandstrände freigelegt und Inseln bequem zu Fuß erreichbar. Sechs Stunden später krachen aber schon wieder die Wellen an den Kai, und bei etwas Wind können es auch haushohe Brecher sein, die wie Fontänen über die Mauern spritzen. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt im Norden der Bretagne bis zu 13 Meter – mehr als irgendwo anders in Europa.
Cancale: Zwölf Stück Austern um vier Euro
Das einstige Fischerdorf Cancale wurde durch seine Austern weltberühmt. An der Strandpromenade kann man zwölf Stück „Huitres de Cancale“ schon um vier Euro erwerben und gleich daneben auf einer Parkbank am Meer schlürfen. In den Restaurants gibt‘s auch alle anderen Früchte des Meeres – und natürlich die für die Bretagne so typischen Crêpes und Galettes.
Bei beiden handelt es sich um zusammengeklappte Palatschinken. Die Crêpes aus Weizenmehl sind mit Zucker, Marmelade, Früchten oder einer süßen Nuss-Nougat-Creme gefüllt, während die Galettes aus Buchweizenmehl traditionell mit Schinken, Käse, Ei, Fisch oder Gemüse belegt werden. Wie in der Normandie trinkt man dazu den beliebten Apfelmost Cidre und danach einen Lambig – so heißt der bretonische Apfelbrand, der aus Cidre hergestellt wird und selbstverständlich viel besser schmeckt als die „normannische Kopie“ namens Calvados…
Die Bretonen und ihr Verhältnis zu Frankreich
Dass die Bretonen Nachfahren der Kelten sind, ist nicht zu übersehen. Deutlich wird das vor allem in der Musik, die ein wenig nach Irland und Schottland klingt und nie ohne Dudelsack auskommt, aber auch in den traditionellen Tänzen und Festen, in den Trachten mit den typischen Spitzenhauben und in der Sprache, die in Frankreich lange Zeit verboten war. Heute wird Bretonisch auch von der Jugend wieder gesprochen, und seit 1985 sind alle Straßenschilder in der Region zweisprachig.
Das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Rennes, die mit vielen Prachtbauten und Fachwerkhäusern aus dem 16. Jahrhundert aufwartet, ist heute nur noch Sitz eines regionalen Gerichtshofes, aber für viele Bretonen noch immer ein Symbol für die zwar verlorene, aber niemals aufgegebene Unabhängigkeit.
Auch im Jahr 2009 fühlen sich viele Einwohner der Bretagne nicht als Franzosen, sondern als Bretonen, und sie erzählen auch gerne, dass ihr Land „erst seit 500 Jahren zu Frankreich gehört“ und davor immerhin 700 Jahre selbstständig war. Das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix, das den Römern so erfolgreich Widerstand leistete, lag eben nicht zufällig in der Bretagne…
Carnac (c) travel by tropf Galette (c) travel by tropf Austern in Cancale (c) travel by tropf Saint-Malo (c) travel by tropf Saint-Malo (c) travel by tropf Saint-Malo (c) travel by tropf Dinan (c) travel by tropf Vannes (c) travel by tropf Vannes (c) travel by tropf Rennes (c) travel by tropf