Die Geschichte des Mont Saint-Michel begann mit einem Loch im Kopf: Weil sich Bischof Aubert von Avranches trotz wiederholter Aufforderung hartnäckig weigerte, auf der winzigen Insel vor der Küste der Normandie eine Kirche zu errichten, brannte ihm im Jahr 708 der Erzengel Michael als zusätzliche Motivation mit dem Finger ein Loch in den Schädel. Das wirkte, wie die Legende berichtet. Der Mont Saint-Michel wurde bald zu einem beliebten Pilgerziel, und im Mittelalter entstand auf dem kleinen Berg eine monumentale Klosteranlage.
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Heute, 1.300 Jahre später, ist das „Wunder des Abendlands“ das weltweit bekannte Wahrzeichen der Normandie und einer der größten Touristenmagnete Frankreichs. Rund 3,6 Millionen Besucher drängeln sich pro Jahr durch die engen Gassen und über die steilen Treppen, die bis hinauf zur Kirche führen, bewundern die noch immer mystisch und geheimnisvoll wirkende Abtei und bestaunen das grandiose Schauspiel der Gezeiten.
Bis zu 13 Meter kann hier der Unterschied zwischen Ebbe und Flut ausmachen – mehr als irgendwo anders in Europa: Während die Insel bei Flut nur über einen etwa einen Kilometer langen Damm erreichbar ist, kann man in der flachen Bucht von Saint-Michel bei Ebbe selbst von der Spitze des Klosterberges aus kein Meer mehr sehen.
Doch das Meer kehrt immer wieder zurück – und das schneller, als es so mancher, der gemütlich durch das Watt wandert, glauben möchte. Victor Hugo meinte einmal, das Wasser käme „mit der Schnelligkeit eines Pferdes im Galopp“, tatsächlich ist es etwa ein Meter pro Sekunde…
Giverny und Honfleur: Die Heimat der großen Maler
Von Paris benötigt man mit dem Bus oder dem Mietauto nur knapp drei Stunden bis an die Küste der Normandie – zum Beispiel zu den bizarren Kreidefelsen von Etretat. Die meisten Touristen legen aber auf halbem Weg einen Stopp in Giverny ein.
Claude Monet, der Meister des Impressionismus, lebte und malte 43 lange Jahre in diesem beschaulichen Städtchen – bis zu seinem Tod 1926. Sein Wohnhaus und der wunderschöne Wassergarten mit dem Seerosenteich und der berühmten japanischen Brücke sind noch immer so paradiesisch wie vor 80 oder 100 Jahren.
Auch die alte, malerische Hafenstadt Honfleur lockte die Maler in Scharen an und tut es immer noch. Waren es früher Monet, Boudin, Renoir und Cézanne, die sich am perlmuttfarbenen Himmel und den im Licht explodierenden Farben der Natur begeisterten, so sind es heute Lebenskünstler wie der sympathische Daniel Lallemand, der sein Versicherungsbüro auf dem Hauptplatz zusperrte, die Räume in ein kleines Atelier verwandelte und mit seinen Gemälden nun die Tradition der „Maler am Meer“ aufrecht hält.
Richard Löwenherz und Johanna von Orléans
Die gotische Kathedrale von Rouen, in der Richard Löwenherz begraben ist, inspirierte Monet zu einem Bilderzyklus und gilt als eines der schönsten Gotteshäuser Frankreichs – umrahmt von einer Altstadt mit gut 2000 sorgfältig renovierten Fachwerkhäusern. Auf dem Marktplatz erinnert eine moderne Kirche an Jeanne d’Arc: Die heilige Johanna von Orléans wurde auf Befehl des englischen Königs am 30. Mai 1431 genau an dieser Stelle auf einem Scheiterhaufen verbrannt.
Dass in den Restaurants an der 330 Kilometer langen Küste der Normandie alles aufgetischt wird, was das Meer an Schätzen zu bieten hat, ist nahe liegend. Im Landesinneren wird es jedoch deutlich erdverbundener: Fleisch, Schinken, Wurst, Käse, Butter und Äpfel sind die wichtigsten Bestandteile der zwar köstlichen, aber deftigen normannischen Küche, die sich nicht um Kalorien kümmert.
Dazu trinkt man als Durstlöscher den für die Normandie so typischen Cidre – Most aus Äpfeln, der meist in Tongefäßen ausgeschenkt wird. Er dient auch als Ausgangsprodukt für den allgegenwärtigen Calvados, ohne den ein rundum gelungener Tag im Nordwesten Frankreichs nur sehr schwer vorstellbar ist.
Der Calvados und das „normannische Loch“
In der Destillerie „Château du Breuil“ erfahren die Besucher in einem Schloss aus dem 16. Jahrhundert alles über den Apfelbrand und können bei einer Verkostung selbst feststellen, dass er umso weicher und samtiger schmeckt, je länger er in den Eichenfässern reifen darf. Sechs Jahre sind es mindestens im „Château du Breuil“. Cidre und Calvados gemischt ergeben einen beliebten Aperitif namens „Pommeau“.
Der Calvados selbst eignet sich hingegen perfekt als Digestif und als Begleitung zu einem Camembert oder einer der zahllosen anderen Käsesorten der Region. In der Normandie wird er aber nicht selten schon am Vormittag genossen. Wenn die Einheimischen an der Hafenpromenade von Honfleur vor den Bistros sitzen und sich deutlich sichtbar wie Gott in Frankreich fühlen, steht neben einem Espresso auf den kleinen runden Tischen meist ein Glas mit Calvados.
Der Apfelbrand – liebevoll „Calva“ gerufen – wird jedoch nicht aus dem Glas getrunken, sondern in die geleerte Kaffeetasse gegossen, wo er sich an den Wänden erwärmt und das Aroma der letzten Kaffeetropfen aufnimmt. Gerne trinkt man Calvados in Frankreich zwischen zwei Gängen bei einem längeren Abendessen, um „den Magen aufzuräumen“. Den auf diese Art neu geschaffenen Freiraum im Verdauungstrakt nennt man dann das „normannische Loch“.
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