Apulien: Der seltsame Absatz des Stiefels

Die „weiße Stadt“ strahlt wie eine Fata Mor­gana im sanf­ten Licht der Abend­sonne: 260 Me­ter über dem tief­blauen Meer Apu­li­ens thront Os­tuni auf ei­nem ein­sa­men Hü­gel, um­ge­ben von ei­nem schier end­lo­sen Tep­pich aus Oli­ven­bäu­men.

„Mas­se­rie“ in Os­tuni (c) tra­vel by tropf

Be­zau­bernd ist der An­blick, ver­zau­bernd der Spa­zier­gang durch das mit­tel­al­ter­li­che Städt­chen, in dem alle Häu­ser weiß ge­kalkt sind und per Ge­setz min­des­tens ein­mal pro Jahr ei­nen neuen An­strich er­hal­ten müs­sen.

So wie die eben­falls „wei­ßen“ Nach­bar­orte Cis­ternini und Lo­co­ro­tondo hat auch Os­tuni mit sei­nem pit­to­res­ken Ge­wirr aus en­gen, ver­win­kel­ten Gas­sen, Stie­gen und Stein­bö­gen nichts mit dem „Rest“ Ita­li­ens ge­mein­sam. Eher er­in­nert die von der som­mer­li­chen Hitze ge­prägte Ar­chi­tek­tur an grie­chi­sche Dör­fer. Oder an eine ori­en­ta­li­sche Me­dina, wie man sie in Ca­sa­blanca oder in Tu­nis fin­det.

Die wech­sel­volle Ge­schichte Apu­li­ens, das erst seit 1861 ein Teil Ita­li­ens ist, wird hier deut­lich: Grie­chen, Rö­mer, By­zan­ti­ner, Ara­ber, Nor­man­nen, Stau­fer, Bour­bo­nen und Habs­bur­ger – sie alle be­herrsch­ten ir­gend­wann den Ab­satz des Stie­fels und hin­ter­lie­ßen ihre Spu­ren.

Die Barockstadt und der gestohlene Nikolaus

In der „Ba­rock­stadt“ Lecce, am süd­öst­lichs­ten Zip­fel Ita­li­ens, war es zum Bei­spiel der Habs­bur­ger Karl V., der im 16. Jahr­hun­dert die Stadt­mauer er­rich­ten ließ und da­mit den Auf­stieg der Stadt zum „Flo­renz des Sü­dens“ er­mög­lichte. Die präch­ti­gen ba­ro­cken Fas­sa­den der Kir­chen, Klös­ter und Pa­läste bil­den ei­nen selt­sa­men Kon­trast zum rö­mi­schen Am­phi­thea­ter aus dem 2. Jahr­hun­dert, das fast den ge­sam­ten Haupt­platz ein­nimmt.

„Wenn Pa­ris das Meer hätte, wäre es Klein-Bari“, sa­gen die Ein­woh­ner von Bari und be­wei­sen da­mit viel Hu­mor. Denn ihr gol­de­nes Zeit­al­ter er­lebte die Ha­fen­stadt be­reits wäh­rend des Mit­tel­al­ters, als sie ei­nen der wich­tigs­ten Brü­cken­köpfe zur grie­chi­schen Welt und zum Mitt­le­ren Os­ten bil­dete. Da­mals, im Jahr 1087, wur­den auch die Ge­beine des hei­li­gen Ni­ko­laus von Myra aus der Tür­kei ge­stoh­len und nach Bari ge­bracht, wo sie nun in der Ba­si­lika San Ni­cola ru­hen – ei­ner von zwei wun­der­schö­nen ro­ma­ni­schen Ka­the­dra­len, die die Nor­man­nen hin­ter­las­sen ha­ben.

Das rätselhafte Kastell und die Zipfelmützen-Häuser

Vom deut­schen Stau­fer-Kai­ser Fried­rich II. stammt wie­derum das zwi­schen 1240 und 1280 er­rich­tete Cas­tel del Monte, das von der UNESCO zum Welt­kul­tur­erbe er­klärt wurde. Warum diese acht­eckige Burg mit ih­ren acht acht­ecki­gen Tür­men ge­baut wurde, ist bis heute ein Rät­sel: Die „Krone Apu­li­ens“ be­sitzt kei­nen Gra­ben, keine Zug­brü­cke und auch keine Stal­lun­gen, alle Auf­zeich­nun­gen und die ge­samte Ein­rich­tung wur­den schon kurz nach Fried­richs Tod ver­nich­tet.

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War das weit­hin sicht­bare Kas­tell nur als Sym­bol der Macht ge­dacht? War es le­dig­lich ein Jagd­schloss? Oder doch eine eso­te­ri­sche Kult­stätte? Auch An­gela, un­sere elo­quente Rei­se­lei­te­rin, kennt die Ant­wort nicht: „Je mehr ich dar­über lese“, sagt sie, „desto we­ni­ger weiß ich.“

Welt­be­rühmt wurde Apu­lien je­doch we­gen ganz an­de­rer, we­sent­lich ein­fa­che­rer Bau­werke, für die man kei­nen Ar­chi­tek­ten be­nö­tigte – die Trulli. Im Som­mer kühl und im Win­ter warm, wur­den diese klei­nen, run­den Häus­chen mit den wit­zi­gen Zip­fel­müt­zen-Dä­chern vor al­lem von ar­men Bau­ern als Ge­rä­te­schup­pen, Woh­nun­gen und Ställe er­rich­tet. Ohne Mör­tel, nur Stein auf Stein.

Ver­gleich­bare Bau­ten fand man in Sy­rien, Ägyp­ten und Grie­chen­land. Mehr als 5000 sind heute noch über das ma­le­ri­sche Valle d‘Itria ver­streut, das mit sei­nen Wein­gär­ten und Oli­ven­hai­nen gerne als „Mär­chen­land der Trulli“ be­zeich­net wird. In der „Trulli-Stadt“ Al­ber­obello drän­gen sich 1500 auf engs­tem Raum. So­gar eine große Kir­che hat man hier im Trulli-Stil ge­baut.

Nudeln mit Ohren

„Mas­se­rie“ hei­ßen die al­ten, teil­weise mit ho­hen Mau­ern be­fes­tig­ten und so­gar mit ei­ge­nen Kir­chen aus­ge­stat­te­ten Guts­höfe aus dem 16. Jahr­hun­dert, die in den Oli­ven­hai­nen rund um Os­tuni zu fin­den sind – dort, wo fast die Hälfte al­ler ita­lie­ni­schen Oli­ven­bäume steht.

Ei­nige der Guts­höfe wur­den in den letz­ten Jah­ren in kleine Ho­tels um­ge­wan­delt, an­dere set­zen auf „Ur­laub am Bau­ern­hof“, weit weg vom Mas­sen­tou­ris­mus: Mama kocht, die Toch­ter hilft beim Ser­vie­ren, und die Män­ner des Hau­ses pro­du­zie­ren auch wei­ter­hin ihre ei­ge­nen Weine, köst­li­chen Käse und ein Oli­venöl, wie man es so schnell kein zwei­tes Mal fin­det.

In die­sen „Mas­se­rie“ gibt es mit Si­cher­heit die oh­ren­för­mi­gen „Orecchiette“-Nudeln, die so ty­pisch sind für Apu­li­ens ein­fa­che, aber un­ver­fälschte bäu­er­li­che Kü­che. Gerne wer­den diese Nu­deln mit Ge­müse und Kräu­tern zu­be­rei­tet, aus de­nen dann auch die Sauce ge­macht wird.

Da­vor lässt man sich am bes­ten mit den oft sehr fan­ta­sie­vol­len An­ti­pasti ver­wöh­nen, viel­leicht auch mit der an­geb­lich bes­ten Fisch­suppe der Welt. Als Haupt­ge­richt müs­sen es al­ler­dings Mee­res­früchte sein. Be­son­ders be­liebt sind Tin­ten­fi­sche, See­igel, Ok­to­pus und Cozze – schwarze Mies­mu­scheln, die im Wein­sud zu­be­rei­tet und mit ge­toas­te­tem Weiß­brot heiß ge­ges­sen wer­den.

Dazu emp­fiehlt sich ei­ner der aus­ge­zeich­ne­ten Weine Apu­li­ens – wie etwa der weiße, fast schon welt­be­rühmte „Lo­co­ro­tondo“ oder der rote „Pri­mi­tivo di Man­du­ria“, der al­les an­dere als „pri­mi­tiv“ ist.

Os­tuni (c) tra­vel by tropf Os­tuni (c) tra­vel by tropf Lecce (c) tra­vel by tropf Al­ber­obello (c) tra­vel by tropf Al­ber­obello (c) tra­vel by tropf Apu­lien (c) tra­vel by tropf Bari (c) tra­vel by tropf Cas­tel del Monte (c) tra­vel by tropf Cas­tel del Monte (c) tra­vel by tropf

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