Laufen, schweigen, lauschen, schauen oder einfach nur stehenbleiben und staunen: Auf dem 125 Kilometer langen Lechweg von Lech am Arlberg bis nach Füssen im Allgäu sollten sich die Wanderer genug Muße nehmen, um die Naturwunder entlang eines der letzten Wildflüsse Europas nicht zu übersehen.
Mit geschärften Sinnen können die Wanderer zum Beispiel dem Gesang der Murmeltiere lauschen, in einem Meer aus Orchideen stehen und vielleicht sogar einem immer noch nicht ganz geklärten Geheimnis auf die Spur kommen.
Opulente Ouvertüre am Formarinsee
Schon zu Beginn des Lechwegs haben Naturliebhaber kaum eine andere Wahl, als ihre Wanderung erstmal zu unterbrechen. Denn der beinahe kreisrunde Formarinsee auf 1.793 Metern Seehöhe oberhalb von Lech am Arlberg leuchtet je nach Sonneneinfall von smaragdgrün über türkis bis zu azurblau.
Das natürliche Gebirgsgewässer vor der mächtigen Roten Wand bildet sich jedes Jahr neu aus der Schneeschmelze der umliegenden Vorarlberger Alpen. Ganz in der Nähe entspringen der Formarin- und der Spullerbach, die sich nur wenige Kilometer später zum Wildfluss Lech vereinen. Lage: am Start des ersten beziehungsweise Ende des letzten Abschnitts im Lechquellgebiet.
Europas größte Steinbock-Kolonie
Weiter führt die erste Lechweg-Etappe in Richtung Norden über die Alpe Formarin. Dort erinnert das bronzene Steinbock-Denkmal an die Wiedereinsetzungserfolge des 19. Jahrhunderts. Damals gab es aufgrund des hohen Jagdaufkommens nur noch knapp 40 Steinböcke im gesamten Alpenraum.
Einem Untertan des einstigen italienischen Herrscherhauses war es zu verdanken, dass 1821 ein königliches Dekret zum Schutz der Tiere erlassen wurde. Von Italien gelangten sie dann auch wieder zurück an den Arlberg. Mittlerweile sind hier rund 600 Exemplare zu Hause, die unter anderem von den Lechweg-Wanderern bewundert werden. Lage: nördlich des Formarinsees oberhalb von Lech am Arlberg.
Wo das Murmeltier täglich grüßt
Die klare Luft rund um Warth am Arlberg auf über 1.500 Metern Seehöhe genießen nicht nur die Lechweg-Wanderer. Neben menschlichen Besuchern fühlen sich dort nämlich auch zahlreiche tierische Bergbewohner wohl. Das Pfeifen der im Alpenraum „Mankei” genannten Murmeltiere ist schon unten im Dorf zu hören. Von Schlaf keine Spur.
Weiter oben bekommt man die putzigen und teilweise wenig scheuen Nager dann auch zu sehen – und ein solcher Umweg lohnt sich allemal. Ebenso können Aufmerksame flinke Gämsen und Adler, die ihre Kreise über den Arlberger Alpen ziehen, in den luftigen Höhen entdecken. Lage: oberhalb des Walserdorfs Warth am Arlberg.
Schaukelnd übers Höhenbachtal
Die Überquerung der Höhenbachschlucht nahe Holzgau ist nichts für schwache Nerven, aber doch ganz ungefährlich: Von den blühenden Wiesen am Gföllberg bis zum Sonnenplateau Schiggen führt die Hängebrücke, die mit 200 Metern Länge und einem Meter Breite mehr als 100 Meter über dem Boden schwebt.
Damit ist das 2012 eröffnete Bauwerk die höchste, unentgeltlich zugängliche Fußgängerbrücke in Österreich und bietet einen freien Blick auf den Simmswasserfall. Im 19. Jahrhundert künstlich angelegt, gilt die Kaskade als bedeutendste Sehenswürdigkeit von Holzgau. Lage: Der Lechweg führt direkt über die Holzgauer Hängebrücke im Tiroler Lechtal.
Das Rätsel des Doser Wasserfalls
Bei Häselgehr im Tiroler Lechtal zeigt sich regelmäßig ein mysteriöses Naturphänomen, denn jedes Jahr am 11. November versiegt der Doser Wasserfall plötzlich da, wo er am 23. April wieder zu sprudeln beginnt. Wild schäumend tritt dann der Tuoserbach aus einer Felsengrotte hervor.
Der Legende nach ist ein Drache verantwortlich für die sonderbare Erscheinung. Wissenschafter hingegen vermuten einen unterirdischen See und dessen Überlauf durch die Schneeschmelze. Der wahre Grund für das rätselhafte Verschwinden ist allerdings immer noch nicht endgültig geklärt. Lage: im Weiler Luxnach entlang des Lechwegs von Häselgehr aus.
Die Wächter des Frauenschuhs
Prachtvoll zeigt sich die Blüte des Gelben Frauenschuhs – einer ebenso seltenen wie begehrten Orchideenart. Aufgrund der reichen Bestände im Tiroler Lechtal gelten die Lechauen bei Martinau als größtes zusammenhängendes Frauenschuhgebiet Europas und werden deshalb von der örtlichen Bergwacht nicht aus den Augen gelassen.
Mit dem wasserdurchlässigen Kalkschotterboden des lichten Kiefern- und Trockenauwalds herrschen dort perfekte Bedingungen für die Pflanze. Während ihrer Hoch-Zeit von Mitte Mai bis Mitte Juni sind die unter Artenschutz stehenden Wildblumen den Abstecher vom Lechweg absolut wert. Lage: in Martinau im Tiroler Lechtal, etwa zwei Kilometer entfernt von Elmen am Lechweg.
Auf der Pirsch im Vogelschutzgebiet
Das Schutzgebiet Pflacher Au in Reutte liegt beinah direkt am Lechweg und beherbergt Wasservögel, Blässhühner, Schwalben sowie Mauersegler. Vom 18 Meter hohen Vogelbeobachtungsturm bietet sich Hobby-Ornithologen ein 360-Grad-Blick über Bäche, lehmige Tümpel und Stillgewässer – umgeben von einem Dschungel aus Totholz und Gestrüpp. Das ist der ideale Lebensraum für junge Vogel-Eltern und ihren Nachwuchs. Wer möchte, unternimmt eine geführte Safari mit dem Naturpark-Guide. Lage: Der Vogelbeobachtungsturm befindet sich nahe des Innovationszentrums Pflach.
Gesegnetes Naturdenkmal Füssener Lechfall
Der türkisgrüne Lechfall bei Füssen am Rand einer tief eingeschnittenen Klamm zählt nicht umsonst zu Bayerns schönsten Geotopen. Die zwölf Meter in die Tiefe stürzenden Staustufen wurden zur Nutzung der Wasserkraft Ende des 18. Jahrhunderts errichtet. Lechfall und Lechschlucht sind seit jeher ein Ort zum Innehalten, was vor allem einer Legende zu verdanken ist.
Dort soll nämlich der Heilige Magnus auf der Flucht vor heidnischen Verfolgern über den wilden Lech gesprungen sein. Heutzutage überqueren ihn Lechweg-Wanderer auf dem 1895 erbauten König-Max-Steg ein letztes Mal, bevor ihre 125-Kilometer-Tour ebenda endet.
Lage: Der Lechfall markiert das Ende des Lechwegs, oder den Beginn der Tour in umgekehrte Richtung.
Spezialisierte Wander- und Trekkingveranstalter wie ASI Reisen, Abenteuer Wege, Euro Hike, TS Touristik Service und Wikinger Reisen bieten sechs‑, acht- oder zehntägige Arrangements für den Lechweg ab 680 Euro pro Person inklusive Übernachtungen und Gepäcktransport an.
Autorin: Elisabeth Kapral
Als Juristin hat Elisabeth gelernt, exakt zu formulieren. Das kommt ihr jetzt zugute, wenn sie für travel4news schreibt. Worüber sie schreibt, weiß sie dabei ganz genau, denn sie hat bereits 108 der 193 in der UNO vertretenen Länder besucht – und viele von ihnen auch mehrfach.