Bhutan ist vor allem für die landschaftliche Schönheit, die nachhaltige Tourismus-Philosophie und die reiche Artenvielfalt bekannt. Mit seinen aufwändigen Holzarbeiten, farbenfrohen Fresken und fein gearbeiteten Schnitzereien gilt das Land im Himalaya aber auch als absoluter Geheimtipp für Liebhaber von Architektur und Design.
Ganz gleich, ob es nun traditionelle Tempel, beeindruckende Klöster oder die liebevoll verzierten Bauernhäuser der Einheimischen sind: Die Bauwerke in Bhutan sind durchwegs außergewöhnlich und die Liebe zum Detail sucht vielleicht sogar weltweit ihresgleichen.
Die Bauweise ist stark inspiriert von der buddhistischen Philosophie und Mythologie des Landes und erzählt auf besonders eindrückliche Weise die Geschichte Bhutans in Bildern und Formen. So präsentiert sich die bhutanische Architektur als faszinierende Fusion von Tradition und Moderne, die tief im reichen kulturellen und spirituellen Erbe des Landes verwurzelt ist.
Dzongs – die bhutanischen Festungen
Wer in Bhutan landet, dem sticht sofort die buddhistische Architektur ins Auge, die typisch für das kleine Land im Himalaya ist. Dzongs sind Festungen, die im ganzen Land zu finden sind, und stehen wie keine anderen Gebäude für die bhutanische Baukunst. Sie spielen auch eine Schlüsselrolle in der bhutanischen Gesellschaft und dienen nicht nur als religiöse, sondern auch als administrative Zentren.
Die Innenräume sind mit prächtigen Holzarbeiten, bunten Fresken und detaillierten Schnitzereien geschmückt. Dzongs sind somit nicht nur Festungen, sondern wahre Kunstwerke. Die Harmonie zwischen Architektur und Natur ist dabei ein Schlüsselaspekt der bhutanischen Architekturgeschichte, die die spirituelle Verbindung zur Umgebung betont.
Dzongs dienen oft als Klöster, Sitz von Regierungsämtern und Unterkünfte für Mönche und Regierungsbeamte. Sie sind nicht nur historisch und kulturell bedeutsam, sondern fungieren auch als Orte für religiöse Zeremonien, kulturelle Veranstaltungen und öffentliche Versammlungen.
Außerdem beherbergen sie einen Großteil der Kunstschätze des Landes in Form von Wandmalereien, Statuen und Schnitzereien. Jeder Distrikt (Dzongkhag) hat aber jeweils nur einen Dzong. Die bekanntesten sind der Punakha Dzong und der Thimphu Dzong in der Hauptstadt, in dem sich auch der Thronsaal von König Jigme befindet.
Bhutanische Baumaterialien und Symbole
Die Baumaterialien sind in Bhutan sehr vielfältig und eng mit der Natur verbunden. Holz wird am häufigsten genutzt. Die unzähligen Balken, Fenster und Türen traditioneller Gebäude sind mit verschiedenen Bildern und Texten verziert. Das für westliche Besucher kurioseste Symbol ist dabei sicherlich der Phallus. Seine Bedeutung geht auf das 15. Jahrhundert zurück. Er gilt aber auch heutzutage noch als Symbol der Fruchtbarkeit und des Glücks. Darüber hinaus soll er böse Geister vertreiben.
Traditionell werden die Holzteile beim Bau nicht mit Nägeln, sondern mit der Schwalbenschwanztechnik zusammengefügt – eine mehrfache Verzahnung keilförmiger oder gerader Zapfen. Die Wände sind schräg und in der Regel weiß getüncht. Die Fenster sind dreiflügelig und haben kunstvolle, mit geometrischen und floralen Motiven bemalte Oberschwellen. Ihre Größe nimmt mit den Stockwerken zu. So wirkt das Gebäude noch eleganter.
Das Schrägdach ist mit Schindeln gedeckt und mit Steinen beschwert. Die Dzongs, Klöster und Tempel haben in der Regel Steinmauern, die traditionellen Bauernhäuser hingegen bestehen vor allem aus gestampften Lehmwänden, die mit Kalk verputzt wurden. Geplant wurde übrigens nicht auf Papier, sondern stets im Kopf.
In Bhutan fällt auch auf, dass die Gebäude – egal ob Bauernhaus oder Tempel – fast ausnahmslos dreistöckig sind. Auch das hat einen historischen Hintergrund: Im Erdgeschoss hat früher das Vieh Platz gefunden, im ersten Stock befanden sich Lagerräume und der zweite Stock beherbergte die Wohnräume sowie einen buddhistischen Schrein, für den es übrigens immer ein eigenes Zimmer gibt.
Zwischen dem zweiten Stockwerk und dem Dach wird in der Regel ein offener Raum für die Lagerung im Freien freigehalten. Dreigeschossig sind aber nicht nur die Wohnhäuser: Bei religiösen Gebäuden repräsentieren die drei Ebenen seit jeher die Hölle, die Erde und den Himmel.
Richtlinien für alle neuen Gebäude
Tradition und Moderne sind in der bhutanischen Baukunst eng miteinander verbunden. Als wichtigstes Nachschlagewerk für die Architektur des Landes dient seit der Veröffentlichung im Jahr 1993 das Buch „An Introduction to Traditional Architecture of Bhutan”, das 2014 vom Department for Infrastructure Development als „Guidelines for Bhutanese Architecture” überarbeitet wurde.
Seither orientieren sich alle neuen Gebäude an diesen Richtlinien, die erstellt wurden. So wird sichergestellt, dass die Architekten alle Gebäude mit schrägen Dächern, kleinen Fenstern und bunten Holztüren entwerfen und der Baustil im ganzen Land einheitlich ist. Während heutzutage in Bhutan auch Zement, Stahl und CGI-Platten zum Einsatz kommen, sind die Hauptmaterialien immer noch Stein, Lehm, Holz und Bambus.
Die Bauweise steht in den Sternen
Die Ausrichtung und der genaue Zeitpunkt des Baus wird von den Sternen bestimmt. Bei der Planung aller Gebäude und Brücken richtet man sich nach den Berechnungen eines Astrologen und der Bau wird stets von verschiedenen Ritualen begleitet.
Noch bevor das Haus gebaut wird, bittet der zukünftige Hausbesitzer um die Erlaubnis der Götter und der lokalen Geister, die auf dem Grundstück leben sollen. Damit das Gebäude auch nach dem Bau gesegnet ist und das Böse vertrieben wird, werden nach der Fertigstellung des Hauses eine Gebetszeremonie und traditionelle Tänze organisiert.
Stupas – die Orte des Glaubens
Der bhutanische Glaube spielt nicht nur bei den Dzongs oder den Verzierungen der Gebäude eine wichtige Rolle, sondern auch bei den sogenannten Stupas, die im ganzen Land zu finden sind. Die monumentalen Strukturen, die oft als heilige Stätten gelten, haben verschiedene Formen und Größen, aber die grundlegende Struktur besteht aus einem runden Grundriss mit einem kegelförmigen Dach.
Stupas dienen als Schreine, Grabstätten von Heiligen oder als Aufbewahrungsort für Reliquien oder heilige Texte. Stupas haben eine symbolische Bedeutung und repräsentieren verschiedene Aspekte des buddhistischen Glaubens, einschließlich der Lehre des Dharma – des Lebens von Buddha – und der spirituellen Reise der Gläubigen.
Traditionelle Stolperfalle
In Bhutan sind die Türen übrigens traditionell mit Stufen versehen, die als „Genthoe” bekannt sind. Sie gelten als charakteristisches Merkmal der bhutanischen Architektur und haben verschiedene symbolische Bedeutungen. So sind sie unter anderem Zeichen des Respekts vor der Tradition und Kultur, schaffen Gleichgewicht und Harmonie und schützen vor bösen Geistern.
Autorin: Elisabeth Kapral
Als Juristin hat Elisabeth gelernt, exakt zu formulieren. Das kommt ihr jetzt zugute, wenn sie für travel4news schreibt. Worüber sie schreibt, weiß sie dabei ganz genau, denn sie hat bereits 108 der 193 in der UNO vertretenen Länder besucht – und viele von ihnen auch mehrfach.