Venedig, Florenz, Rom, Neapel. Die klassische Italien-Route führt mit schöner Regelmäßigkeit an Bologna vorbei. Gibt es in der Hauptstadt der Emilia-Romagna nichts zu sehen? Keine 38 Kilometer antiker Laubengänge? Keine monumentalen Backstein-Bauten an der Via Castiglione und keine Piazza Maggiore mit einer mächtigen Basilika?
Viele ignorieren diese Attraktionen und manche freuen sich darüber: Denn Bologna ist eine Stadt für Italiener geblieben. Wer den Tag mit einem Cappuccino und einer sensationell guten Brioche in der Bar Aroma (Via Porta Nova 12/b) beginnt, spürt das sofort.
Am Tresen stehen ausschließlich Einheimische, die mit Inhaber und Barista Alessandro Galtieri über das Wetter, die Wirtschaft und die zur Wahl stehenden Kaffee-Sorten fachsimpeln: Sollen sie den Java oder den Malabar bestellen? Oder besser gleich die Spezialität des Hauses – einen Espresso mit einem Klacks hausgemachtem Zabaglione?
Bologna genießt selbst im gastronomisch privilegierten Italien eine Sonderstellung. Natürlich sind die Bewohner stolz darauf, dass ihre Stadt „la dotta” (die Gebildete) genannt wird, weil ihre 1088 gegründete Universität die älteste der westlichen Welt ist. Wichtiger ist ihnen aber der Beiname „la grassa” (die Fette) – und die Tatsache, innerhalb Italiens als wahres Schlaraffenland zu gelten.
Erste Anzeichen findet man auf dem prächtigen Mercato delle Erbe. In der Halle liegen Tomaten, Artischocken und Pfirsiche in verschiedensten Farben und Formen auf den Verkaufstischen, in der „Formaggeria Barbieri” gibt es 36 und 48 Monate lang gereiften Parmigiano Reggiano und tagesfrischen Ziegenquark – und bei „I Salumi della Cecca” werden feinster Parmaschinken und Mortadella aufgeschnitten.
Eine weitere kulinarische Attraktion wartet gleich neben der Markthalle: Le Sfogline – der Schuhschachtel große Nudel-Laden der Zappoli-Schwestern. Ihre Mutter hatte ihn 1996 eröffnet, obwohl damals jede anständige Hausfrau ihre eigenen Teigwaren zubereitete.
Heute ist das anders und das Geschäft brummt. Schon am frühen Nachmittag zeugen nur noch handgeschriebene Zettel in leeren Pappschalen von dem, was es zu kaufen gab: Tortelloni, Tortellini, Passatelli, Gnocchi, Tagliatelle, Taglioline, Quadrettini – alles in der Werkstatt gleich hinter dem Verkaufsraum in Handarbeit produziert.
Ein ähnliches Angebot liegt bei Sfoglia Rina in der Vitrine. Inhaber Lorenzo Scandellari hat das Handwerk von seiner Großmutter gelernt und vor ein paar Jahren im Quadrilatero – dem historischen Einkaufsviertel der Stadt – ein „laboratorio” mit angeschlossenem Restaurant eröffnet. Auf der Schiefertafel stehen die aktuellen Tagesgerichte, am großen Gemeinschaftstisch bleibt um die Mittagszeit selten ein Stuhl frei.
Ganz in der Nähe, unter den Arkaden der pittoresken Via de’ Musei, befindet sich der wohl schönste Einkaufstempel der Stadt: Im L’Inde le Palais gibt es ausgesuchte Wohnaccessoires, seltene Parfums, extravagante Schmuckstücke und Bücher – unter anderem die luxuriösen Bildbände aus dem Taschen Verlag.
Außerdem finden Shoppingfans auch Marken aus der Region wie Max Mara, Furla oder Sergio Rossi in diesem Kaufhaus. Das Geschäft erstreckt sich über drei Etagen und zieht sich durch verschiedene Zimmer. Allein die ungewöhnliche Inszenierung ist einen Besuch wert. Die Läden von Prada, Gucci und Brunello Cucinelli sind nur einen Katzensprung entfernt.
Ebenfalls ganz in der Nähe und absolut sehenswert: der imposante gotische Backsteinpalast Loggia dei Mercanti aus dem 14. Jahrhundert, in dem seit jeher die Handelsaktivitäten der Stadt geregelt werden. Im Tresor der Handelskammer befindet sich übrigens das goldene Maß für die Tagliatella. Sie muss genau 8 Millimeter messen.
Ebenfalls einen Besuch wert ist das anatomische Theater im ehemaligen Universitätsgebäude Archiginnasio – ein 1637 errichteter, holzvertäfelter Saal mit Kassetten-Decke, zahlreichen Holzstatuen, die berühmte Mediziner der Antike darstellen, einem Lehrer-Hochsitz mit Baldachin und einem Seziertisch aus weißem Marmor. Oder das zwischen 1109 und 1119 errichtete Turm-Duo Garisenda und Asinelli – übrig geblieben von über 100 Hochhäusern jener Zeit, die Bologna zum „Manhattan des Mittelalter” machten.
Die heutigen Bewohner der mittelalterlichen Weltstadt treffen sich abends zum „aperitivo“. Offenbar taten sie das schon im 15. Jahrhundert, als die Osteria del Sole eröffnete. Nur ein kleines Schild mit der Aufschrift „vino“ verrät, dass es hier etwas zu trinken gibt – und die Menschen, die mit einem Glas vor dem Eingang stehen.
Drinnen sitzen Geschäftsleute, junge Kreative mit Laptop, Künstler, Studenten und Senioren an langen Holztischen, vor sich eine Flasche des perlenden weißen Pignoletto-Weins aus den Hügeln um Bologna oder einen roten Lambrusco, der in der Gegend um Parma produziert wird.
Insider haben Schafskäse aus dem Apennin und ein Stück Bologneser Crescenta (Fladenbrot) mitgebracht, denn in der Osteria del Sole gibt es nichts zu essen. Das gibt es anderswo. Zum Beispiel in der schick gestalteten Trattoria Oltre in einer stillen Gasse hinter der Markthalle. Küchenchef Daniele Bendanti und sein Partner Lorenzo Costa setzen auf eine junge Klientel, die auch perfekt zubereitete Klassiker wie Tagliatelle al Ragù oder Cotoletta alla Bolognese zu schätzen weiß.
Oder im Berberè – einer in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Pizzeria: Die Wände sind aquamarinfarben und mit Comics geschmückt, an der Decke ziehen sich Industrierohre entlang und aus der offenen Küche kommen sensationelle Pizzen aus Bio-Zutaten.